Nach der schweren Explosion in Ratingen bei Düsseldorf haben dort mehr als 800 Menschen an einer Solidaritätskundgebung für die verletzten Einsatzkräfte teilgenommen. Das sagte ein Polizeisprecher in Mettmann am Sonntag. Zahlreiche Kerzen wurden aufgestellt. Zu der Kundgebung und Mahnwache auf dem Marktplatz am Samstag hatte eine Ratinger Bürgerin aufgerufen.
Alle lebensgefährlich Verletzten überlebten auch die dritte Nacht nach dem mutmaßlichen Mordanschlag, berichtete ein Polizeisprecher in Düsseldorf am Sonntag auf Anfrage.
Ob es sich bei der toten Frau, die in der Wohnung des Verdächtigen entdeckt wurde, um die 91-jährige Mutter des 57-jährigen Verdächtigen handelt, sei weiterhin nicht abschließend geklärt. Die Frau war bereits mehrere Wochen tot, den Einsatzkräften war starker Verwesungsgeruch aufgefallen.
Unterdessen kündigte die SPD-Opposition im nordrhein-westfälischen Landtag an, wegen des Falls eine Sondersitzung des Innenausschusses zu beantragen. So will deren innenpolitische Sprecherin Christina Kampmann wissen, ob die Einsatzkräfte, die am Donnerstag zu einer «hilflosen Person» gerufen wurden, darüber informiert wurden, dass dort ein Gewalttäter wohnt, gegen den ein Haftbefehl vorlag.
«Diese schreckliche Tat hat so viele Opfer, die sich für unsere Sicherheit in diese gefährliche Situation begeben haben», so Kampmann. «Es geht auch darum, wie wir unsere Sicherheitskräfte besser schützen können.»
Wie am Freitag bekannt wurde, hatte ein Polizist die Wohnung wenige Tage zuvor wegen des Haftbefehls aufsucht. Der Ratinger hatte eine Geldstrafe wegen Körperverletzungsdelikten nicht bezahlt und sollte deswegen eine Haftstrafe antreten. Weil niemand öffnete, war der Beamte wieder gegangen.
Da der Briefkasten der Wohnung nicht mehr geleert wurde und überquoll, hatte die Vermieterin einige Tage später die Polizei gebeten, nach dem Rechten zu sehen. Während die Einsatzkräfte losgeschickt wurden, um einer «hilflosen Person» zu helfen, war der 57-jährige Ratinger möglicherweise davon ausgegangen, dass er verhaftet werden sollte.
Er selbst schweigt zu dem Geschehen. Ein Polizeisprecher hatte am Freitag gesagt, mit einer derart verheerenden Eskalation des Einsatzes habe niemand rechnen können. Die Ermittler gehen aber davon aus, dass der 57-Jährige die Tat mehrere Tage lang vorbereitet hat.
Ein Richter hatte den Verdächtigen wegen versuchten Mordes in neun Fällen in Untersuchungshaft geschickt. Er soll den Einsatzkräften mit einem Gefäß Benzin entgegengeschleudert haben, als diese die Wohnungstür geöffnet hatten und dahinter auf einen Stapel aus Wasserkästen stießen, mit denen der Eingang verbarrikadiert war. Wie er das Benzin zündete, blieb auch am Sonntag unklar.
Zwei Polizisten sowie sieben Feuerwehrleute und Rettungsdienst-Mitarbeiter waren von einem Feuerball getroffen worden und hatten zum Teil schwerste Verbrennungen erlitten.
Bei dem 57-Jährigen handele es sich um einen Gewalttäter, der bereits wegen drei Körperverletzungen aufgefallen sei und gegen den deswegen zwei Strafbefehle verhängt worden waren, hatten die Ermittler berichtet. Bei einer Durchsuchung fand die Polizei im Keller PTB-Waffen – darunter werden allgemein Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen gefasst – sowie Messer und Dolche.
Die Opposition will zudem wissen, was es mit der Zugehörigkeit des Verdächtigen zur Prepper-Szene auf sich hat. Er soll auch Corona-Leugner sein. Als Prepper, abgeleitet vom englischen «prepare» (vorbereiten), werden Menschen bezeichnet, die sich auf das Überleben im Katastrophenfall vorbereiten.
Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) rief die Polizisten in Nordrhein-Westfalen im Intranet der Polizei zur besonderen Vorsicht auf: «Für den Moment habe ich nur eine Bitte: Passen Sie gut auf sich und Ihre Kolleginnen und Kollegen auf!» So steht es in dem Schreiben, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
«Dieser furchtbare Einsatz macht mich zutiefst betroffen – und ehrlich gesagt auch wütend. Alle Kräfte hatten nur Gutes im Sinn, sie haben sich dem Dienst für die Gesellschaft verschrieben und wollten nur helfen. Doch hier wurden Retter und Helfer selbst zu Opfern», schreibt er. Reul weiter: «Der mutmaßliche Täter konnte zwar festgenommen werden, aber das ist nur ein schwacher Trost. Es sind noch so viele Fragen offen – allen voran die Frage nach dem «Wieso?».»