An der russisch-ukrainischen Grenze zwischen den Städten Belgorod und Charkiw spitzt sich die Lage durch andauernden wechselseitigen Beschuss zu., © Evgeniy Maloletka/AP/dpa

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Die ukrainische Hauptstadt Kiew ist in der Nacht in mehreren Wellen mit Raketen angegriffen worden. In den Morgenstunden waren Explosionen von Flugabwehrraketen im Stadtzentrum zu hören, wie ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur berichtete.

Nach mehreren Wochen Unterbrechung wurde nach Angaben der ukrainischen Armee wieder die strategische Luftwaffe des russischen Militärs vom Kaspischen Meer aus eingesetzt. Zuvor hatten demnach russische Flugzeuge gelenkte Gleitbomben auf das Gebiet Sumy im Nordosten abgeworfen.

Nach dem nächtlichen Sirenenalarm in Kiew informierte Bürgermeister Vitali Klitschko über herabgestürzte Raketenteile in mehreren Stadtteilen. Mehrere Autos und ein Transformatorenhaus seien in Brand geraten. Es habe mindestens acht Leichtverletzte gegeben. Der ukrainischen Luftwaffe zufolge setzte Russland auch schwer abzufangende Hyperschallraketen des Typs «Kinschal» (Dolch) ein.

Briten: Russische Vorstöße haben sich verlangsamt

Russlands Vorstöße in der Ostukraine haben sich allerdings nach britischer Einschätzung in den vergangenen Wochen verlangsamt. Zum Teil könnte das auf die hohen Verluste im Kampf um Awdijiwka zurückzuführen sein, schrieb das britische Verteidigungsministerium. Die Lage bleibe aber instabil, weil die Ukrainer angesichts von Personal- und Munitionsmangel Probleme hätten, ihre Stellungen zu halten.

Russische Streitkräfte konzentrierten sich bei ihren Einsätzen weiterhin auf das Gebiet Donezk und machten kleinere Fortschritte, teilten die Briten auf der Plattform X (früher Twitter) mit. Die Russen hätten versucht, ihren Einfluss nordwestlich der Stadt Donezk auszuweiten, und griffen höchstwahrscheinlich eine Reihe von Dörfern an.

An der russisch-ukrainischen Grenze zwischen den Städten Belgorod und Charkiw spitzt sich die Lage derweil durch andauernden wechselseitigen Beschuss zu. In Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, tötete ein russischer Raketenangriff am Mittwoch mindestens fünf Menschen. Präsident Wolodymyr Selenskyj äußerte sich in seiner abendlichen Videoansprache bestürzt: «Seit mehr als zwei Jahren sind Charkiw und die Region schrecklichen russischen Angriffen ausgesetzt», sagte er. Aber auch die tödliche Attacke vom Mittwoch werde nur bewirken, dass die Ukraine noch energischer reagiere.

Angriffe auch auf russischer Seite

Auf russischer Seite kamen im Gebiet Belgorod in der grenznahen Kreisstadt Graiworon zwei Männer durch Beschuss aus der Ukraine ums Leben, wie Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow mitteilte. Für sein Gebiet, das seit Tagen unter Feuer proukrainischer Milizen liegt, kündigte er Krisenmaßnahmen an. Weil sich die Versorgung verschlechtere, sollten Lebensmittel ausgegeben werden.

In sieben grenznahen Kreisen würden Kontrollposten eingerichtet, die den Zugang zu Ortschaften regeln. In diesen Kreisen und in der Gebietshauptstadt Belgorod sollten auch die Schulferien vorzeitig beginnen. Ohnehin sollen aus der Region etwa 9000 Kinder in Sicherheit gebracht werden, die ersten 1200 von ihnen schon am Freitag.

Moskau droht wegen der Angriffe auf Belgorod

In Moskau kündigte die Vorsitzende des Föderationsrates, Valentina Matwijenko, eine «angemessene Antwort» auf die Angriffe auf Belgorod an und drohte mit Vergeltung. Die Attacken der ukrainischen Streitkräfte zielten auf zivile Objekte und Städte, sagte die Vertraute von Kremlchef Wladimir Putin – ohne dafür Beweise vorzulegen. Sie warf den USA, Großbritannien und der Nato vor, das Vorgehen der ukrainischen Armee zu koordinieren. Auch dafür führte sie keine Belege an.

Zu den Angriffen haben sich proukrainische Paramilitärs bekannt, aber keine regulären Streitkräfte Kiews. Putin hatte schon am Sonntagabend gesagt, Russland könnte in der Grenzregion auf ukrainisches Gebiet vorstoßen, um mit einer Pufferzone Angriffe auf Belgorod zu verhindern.

US-Sicherheitsberater Sullivan in Kiew

Selenskyj sprach mit US-Sicherheitsberater Sullivan über Rüstungszusammenarbeit, wie er nach dem Treffen berichtete. Er dankte den USA für ihre Unterstützung. «Putin muss verlieren – und das ist eine Frage von Leben und Tod für die demokratische Welt», sagte der ukrainische Staatschef. Sullivan als Sicherheitsberater von Präsident Joe Biden unterstrich die vielen laufenden US-Hilfsprogramme für das von Russland angegriffene Land.

Zugleich forderte er den US-Kongress auf, neues Geld für die Ukraine freizugeben. Die Unterstützung für Kiew hängt seit Monaten im Streit zwischen Republikanern und Demokraten im US-Parlament fest.

Selenskyj wirbt um indische Unterstützung

Der ukrainische Präsident sprach auch mit dem indischen Regierungschef Narendra Modi über ein geplantes Gipfeltreffen zu seiner Friedensformel, das in der Schweiz stattfinden soll. Selenskyjs Plan sieht einen Abzug russischer Truppen aus der Ukraine vor. Es geht ihm aber auch um das Einhalten internationalen Rechts, atomare Sicherheit und die weltweite Nahrungsmittelversorgung. Mit diesen Themen versucht die Ukraine, Entwicklungs- und Schwellenländer auf ihre Seite zu ziehen. 

Nach Angaben des Präsidialamtes unterstrich Selenskyj, wie wichtig eine Teilnahme Indiens an dem Gipfel sei. Indien unterhält traditionell enge Beziehungen zu Russland und ist einer der wichtigsten Kunden für russisches Öl, das vom Westen nicht mehr gekauft wird. Neu-Delhi verhält sich neutral zu dem seit über zwei Jahren dauernden Angriffskrieg gegen die Ukraine, hat Moskau aber vor dem möglichen Einsatz von Atomwaffen gewarnt.

Niederlande finanziert Munition für Kampfjets

Die niederländische Regierung will die Ukraine im Krieg gegen Russland mit Munition im Wert von 150 Millionen Euro unterstützen. Das teilte das Verteidigungsministerium in Den Haag mit. Es gehe um Bomben für die F-16-Kampfflugzeuge, die die Ukraine bekommen soll. Die Niederlande gehören zu der Länderkoalition, die der Ukraine US-Kampfflugzeuge vom Typ F-16 bereitstellt. Ukrainische Piloten werden zurzeit in Rumänien auf diesen Maschinen ausgebildet. Wann das Training abgeschlossen ist und die F-16 eingesetzt werden können, ist unklar.

Die Niederlande wollen insgesamt 24 F-16 in die Ukraine schicken. Wie das Verteidigungsministerium außerdem mitteilte, stellen die Niederlande rund 200 Millionen Euro bereit, um gemeinsam mit anderen Ländern Drohnen für die Ukraine anzuschaffen. 

Das baltische Land Litauen teilte mit, es steuere 35 Millionen Euro zu einer tschechischen Initiative bei, Artilleriemunition für die Ukraine zu beschaffen. Prag will außerhalb der EU etwa 800.000 Granaten kaufen. Auch Lettland und Polen werden sich an der Initiative beteiligen. Eine Summe wurde aber nicht genannt. Die Ukraine beklagt seit Monaten einen Mangel an Artilleriemunition. Wegen fehlender Geschosse ist die Armee zunehmend in die Defensive geraten.

Zudem hat Estlands Verteidigungsminister Hanno Pevkur der Ukraine bei einem Besuch in Kiew weitere Militärhilfen zugesagt. Das baltische EU- und Nato-Land wird die ukrainische Armee mit Waffen und Ausrüstung im Wert von 20 Millionen Euro im Kampf gegen Russland unterstützen. Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas schlug beim EU-Gipfel in Brüssel außerdem ein einheitliches Ziel für Militärhilfen für die Ukraine vor. Wenn jedes Land mindestens 0,25 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Militärhilfen zur Verfügung stellen würde, könnten die Ukrainer Russland übertrumpfen, sagte Kallas.

Quelle: dpa