Mehrere EU-Staaten fordern von der Europäischen Kommission Importbeschränkungen für russisches Getreide., © Vitaly Timkiv/AP/dpa

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Infolge eines massiven russischen Luftangriffs mit Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen sind in der Ukraine mindestens fünf Menschen getötet worden. Gut zwei Dutzend weitere wurden vor allem in den Regionen Saporischschja und Chmelnyzkyj verletzt, teilten örtliche Behörden mit. Von mehr als 150 Drohnen und Raketen konnte die ukrainische Flugabwehr nach eigenen Angaben nur gut 60 Prozent abfangen.

Laut Angaben der Staatsanwaltschaft sind mehr als 130 Objekte im Land beschädigt worden. Allein acht Raketen schlugen demnach im Dnipro-Wasserkraftwerk in Saporischschja ein. Das Kraftwerk wurde außer Betrieb gesetzt. Einer Mitteilung des ukrainischen Stromnetzbetreibers Ukrenerho zufolge kam es in sieben Gebieten zu Versorgungsproblemen. Der Strombedarf des Landes musste durch Importe aus den Nachbarstaaten Polen, Rumänien und der Slowakei gedeckt werden. Zudem informierte die ukrainische Eisenbahn über massive Stromausfälle auf nicht näher genannten Strecken. Der Zugverkehr werde dort mit Dieselloks gewährleistet.

Höhere Zölle für russisches Getreide

Die EU-Kommission will Einfuhren von russischem Getreide mit höheren Zöllen belegen. Die Behörde habe einen entsprechenden Vorschlag vorbereitet, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach Gesprächen der EU-Staats- und Regierungschefs bei einem Gipfel in Brüssel. Er würde neben Getreide auch weitere Agrarprodukte aus Russland und Belarus treffen.

Zudem soll laut von der Leyen verhindert werden, dass aus der Ukraine gestohlenes Getreide in die EU verkauft wird. Russisches Getreide dürfe nicht den EU-Markt destabilisieren und Russland dürfe keinen Nutzen aus dem Export dieser Waren ziehen.

Mehrere östliche EU-Staaten hatten vor dem Gipfel in einem Brief an die EU-Kommission gefordert, dass die Kommission Importbeschränkungen für russisches Getreide vorbereitet. Russland finanziere mit Gewinnen aus den Getreideexporten in die EU auch den laufenden Krieg gegen die Ukraine, heißt es in dem Schreiben, das von den Agrarministern aus Tschechien, Estland, Lettland, Litauen und Polen unterschrieben wurde.

Brisant ist der Vorschlag, weil die EU die Ein- und Ausfuhr von Agrarprodukten eigentlich nicht beschränken wollte. In der Kommission wird nun argumentiert, dass es sich bei Zöllen nicht um Sanktionen handele. Zudem soll garantiert werden, dass die Abgaben nur für Importe gelten, die in der EU verbleiben. Russische Exporte in andere Weltregionen sollen durch sie nicht teurer werden.

Selenskyj fordert mehr EU-Militärhilfe

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war zu dem EU-Gipfel per Video zugeschaltet und warb eindringlich um mehr militärische Unterstützung für sein Land. «Leider ist der Einsatz von Artillerie an der Front durch unsere Soldaten beschämend für Europa in dem Sinne, dass Europa mehr leisten kann», sagte er nach dem von einer EU-Sprecherin veröffentlichten Redetext. «Es ist wichtig, dies jetzt zu beweisen.»

Die Ukraine bittet die EU seit Langem um Waffen mit großer Reichweite, um Versorgungslinien der russischen Angreifer weit hinter der Front zerstören zu können. Großbritannien und Frankreich haben bereits ihre Marschflugkörper der Typen Storm Shadow und Scalp geschickt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will die Taurus-Marschflugkörper der Bundeswehr mit einer Reichweite von 500 Kilometern aber nicht zur Verfügung stellen, weil er befürchtet, dass Deutschland in den Krieg hineingezogen werden könnte.

In seiner abendlichen Videoansprache appellierte Selenskyj zudem an die internationale Gemeinschaft, die Sanktionen gegen Russland weiter zu verschärfen. Russische Raketen etwa enthielten noch immer oft westliche Bauteile, die über Schlupflöcher nach Russland gelangten, kritisierte er. «Jeder russische Terroranschlag deutet darauf hin, dass die weltweiten Sanktionen gegen Putins System bisher nicht ausreichen.»

Ukraine meldet drei Tote in Gebieten Cherson und Donezk

Infolge russischer Angriffe sind in den ukrainischen Gebieten Cherson und Donezk offiziellen Angaben zufolge mindestens drei Menschen getötet worden. In Cherson im Süden des Landes sei in einem Dorf eine 70-jährige Frau durch Beschuss schwer verletzt worden und wenig später auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben, teilte die regionale Militärverwaltung mit.

In Donezk im Osten wurden laut Staatsanwaltschaft in der Kleinstadt Nowohrodiwka ein 60-jähriger Mann und eine 66 Jahre alte Frau getötet. Zwei weitere Menschen seien verletzt worden, hieß es.

Russische Behörden: Tote und Verletzte nach Beschuss in Grenzregionen

Bei Beschuss der westrussischen Regionen Belgorod und Kursk durch die Ukraine gab es außerdem offiziellen Angaben nach mindestens eine Tote und mehrere Verletzte gegeben. In Belgorod sei eine Frau beim Ausführen ihrer Hunde durch einen Einschlag ums Leben gekommen, teilte Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow auf Telegram mit. Zwei weitere Personen seien verletzt ins Krankenhaus eingeliefert worden; eine Frau mit Splitterverletzungen an den Beinen und ein Mann mit einem Schädeltrauma. 

Auch der Gouverneur der benachbarten Region Kursk, Roman Starowoit, berichtete über nächtlichen Beschuss. In der grenznahen Ortschaft Tjotkina sei dabei eine Person verletzt worden. Auch dort habe es Sachschäden gegeben.

Häftlinge im Krieg: Zwei Straflager in Sibirien schließen

Aufgrund der vielen in der Ukraine kämpfenden russischen Häftlinge werden in der sibirischen Großregion Krasnojarsk Medienberichten zufolge mindestens zwei Straflager geschlossen. Die Haftanstalten sollten aus Gründen der «Optimierung» zugemacht werden, nachdem viele Straftäter angesichts ihres Einsatzes im Kriegsgebiet begnadigt wurden, sagte der Menschenrechtsbeauftragte der Region, Mark Denisow, laut Tageszeitung «Kommersant». Seinen Angaben zufolge sind die Straflager in den Ortschaften Gromadsk und Arejskoje betroffen. In Gromadsk sitzen vor allem Wiederholungstäter. Arejskoje ist ein Lager für Schwerverbrecher.

Briten: Mangel an Flugzeugteilen in Russland wegen Sanktionen

Wegen der westlichen Sanktionen mangelt es Russland nach britischer Einschätzung an Flugzeug- und Raketenteilen. «Es besteht eine realistische Möglichkeit, dass die monatelange Pause bei Angriffen mit Langstreckenmaschinen auf Probleme bei der Verwaltung und Planung der Flugzeugflotte zurückzuführen war», teilte das britische Verteidigungsministerium mit. «Die andauernden Erfolge der ukrainischen Flugabwehr haben wahrscheinlich ebenfalls die Planung russischer Einsätze erschwert.»

Die schweren Luftangriffe vor allem auf Kiew seien die ersten mit Hilfe von Langstreckenbombern seit mehr als einem Monat gewesen, hieß es in London weiter. Dabei habe Russland mindestens zehn Maschinen vom Typ Tupolew Tu-95 (Nato-Code: «Bear») eingesetzt sowie Abfangjäger vom Typ Mig-31 («Foxhound»).

SPD-Chef: Es muss möglich sein, über die Frage von Frieden zu reden

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sieht derzeit keine Basis für Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über ein Ende des Ukraine-Krieges. «Ich selbst glaube gerade nicht, dass man sich mit Wladimir Putin an einen Tisch setzen kann», sagte Klingbeil in der ZDF-Sendung «Maybrit Illner». Jene, die darüber entschieden, seien die Ukrainerinnen und Ukrainer, fügte der SPD-Chef hinzu.

In der Sendung ging es unter anderem um umstrittene Einlassungen von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenichs zu einem Einfrieren des Ukraine-Kriegs. Klingbeil nahm Mützenich gegen harte Kritik auch der Koalitionspartner Grüne und FDP in Schutz. Mützenich sorge dafür, dass die SPD-Fraktion geschlossen hinter der Ukraine-Politik von Kanzler Scholz stehe, sagte der Parteichef.

Der Fraktionsvorsitzende habe in seiner Rede im Bundestag klar gesagt, dass die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland weiter militärisch unterstützt werden, es aber auch möglich sein müsse, über die Frage von Frieden zu reden. «Und ich sage Ihnen, diesen Wunsch und diesen Bedarf gibt es. Und ich finde, man kann diese Debatten aushalten und man kann sie auch führen», betonte Klingbeil.

Kiew lässt sich nicht in Angriffe auf russische Ölanlagen hineinreden

Die Ukraine lässt sich nach Aussage ranghoher Politiker in Kiew nicht von den USA in Drohnenangriffe auf russische Ölraffinerien hineinreden. Die Ölanlagen seien aus militärischer Sicht legitime Ziele für die Ukraine, sagte Vizeministerpräsidentin Olha Stefanischyna, zuständig für europäische und transatlantische Integration, in Kiew. Zuvor hatte die britische Zeitung «Financial Times» berichtet, die US-Regierung dränge Kiew dazu, diese Angriffe einzustellen. Hintergrund sei die Befürchtung einer Eskalation und weltweit steigender Ölpreise vor der US-Präsidentenwahl. Das Blatt berief sich dabei auf drei nicht namentlich genannte Beteiligte an solchen Gesprächen.

Mychajlo Podoljak, Berater im ukrainischen Präsidialamt, nannte die Information erfunden. «Nach zwei Jahren eines umfassenden Krieges wird niemand der Ukraine vorschreiben, wie sie diesen Krieg zu führen hat», sagte er dem russischen Exilsender Doschd. Stefanischyna ließ durchblicken, dass es solche Warnungen gegeben habe. «Wir haben Verständnis für die Forderungen unserer amerikanischen Partner», sagte sie bei einem Sicherheitsforum in Kiew. Doch zur Abwehr des russischen Angriffskrieges müsse die Ukraine mit den Waffen und Fähigkeiten kämpfen, die sie habe. Die Fortsetzung der erfolgreichen Attacken sei bereits die Antwort auf die Einwände aus Washington. 

Quelle: dpa